Anton Kleinheinz: Herr Dr. Bertram, Sie sind nicht nur CEO vom Symrise-Konzern sondern betreiben nebenbei in der elften Generation einen Landwirtschaftsbetrieb. Beides ist unter Ihren Fittichen enorm gewachsen. Wie bringen Sie das unter einen Hut?
Dr. Heinz Jürgen Bertram: Beide Betriebe funktionieren sehr ähnlich. Ich muss Mitarbeiter und Partner finden, die Vertrauen entwickeln, die an die Sache glauben, sich dafür einsetzen und ich muss den Mitarbeitern Bedingungen geben, bei denen sie für ihre Bemühungen fair entlohnt werden. Beim Hof, wie auch bei Symrise, muss ich jedes Jahr einen Betriebsabschluss machen. Zudem führe ich beide Betriebe nach Kennzahlen. Wir haben auf dem Hof pro Hektar ein PS.
„Viele Dinge kann man mit dem Herzen machen. Aber man darf den Verstand nicht komplett abschalten.“
Können Sie das einordnen?
Das ist eine Kennzahl, die bei den Grossbetrieben gleich ist. Wir haben einen Mähdrescher der jedes Jahr 200 Betriebsstunden leistet, was für einen Kleinbetrieb sehr viel ist. Das heisst er zahlt sich aus. Bildlich gesprochen bedeutet es, dass ich auf den Mähdrescher steige, auf den Betriebsstundenzähler gucke und sagen kann, ob diese Maschine Geld verdient. Sei es beim Hof oder bei Symrise, viele Dinge kann man mit dem Herzen machen. Aber man darf den Verstand nicht komplett abschalten. Wenn Einer kommt und sagt: Chef wir brauchen einen grösseren Trecker, dann frage ich ihn, warum denn? Der, den wir haben, ist gut. Der tut es doch.
Wie fühlen Sie sich als CEO von Symrise?
Es macht Spass mit den Mitarbeitern die Früchte des Erfolges und des Tuns zu sehen. Ich bin auch auf die CEO des Jahres Auszeichnung stolz, aber das ist nicht nur meine Leistung, es ist eine Teamleistung. Die Mitarbeiterzufriedenheit sowie das Betriebsklima stimmen mich ebenfalls positiv. Zudem ist es für mich ein Privileg, weil ich als Person private Neigungen, wie Essen, Trinken und Geniessen, mit dem Beruflichen verbinden kann. Ich bin von Haus aus Chemiker und seit ich in dieser Branche tätig bin, trinke ich ein Glas Wein ganz anders. So kann ich meine Begeisterung an die Mitarbeiter weitergeben und komme authentisch rüber. Die Mitarbeiter merken, dass ich nicht nur schnell auf Montage vorbei schaue, sondern dass wir alle zusammen eine Mission sowie eine Vision verfolgen. Die Mitarbeiter sehen wo wir hinwollen. Und das ist eine Sache, die hege und pflege ich. Ich komme jeden Morgen zu Fuss in die Firma und grüsse jeden dem ich über den Weg laufe – das beginnt bei dem Werksschutz am Eingang.
Woher kommt diese offene Haltung?
Wir sind in Holzminden in einer Kleinstadt mit gut 20.000 Einwohnern. Die Leute beobachten hier sehr genau, wie sich jeder verhält und wie er lebt. Und meiner Meinung nach muss das Persönlichkeitsbild mit dem was ich mit der Firma erreichen will, übereinstimmen. Jeder der bei uns im Vorstand beginnt, muss das lernen. Hier wird er beobachtet und hier ist er wichtig. Das hat Vor- und Nachteile. Eine Herausforderung ist, dass du selten privat bist. Wenn einer ausgeht, ist er eine öffentliche Person. Auf der anderen Seite kann er durch sein Tun und Handeln die Mitarbeiter ganz anders hinter sich scharen. Die Mitarbeiter stehen ohne Wenn und Aber hinter dem Unternehmen. Die Allermeisten kommen nicht nur hierher um ihre Brötchen zu verdienen sondern weil sie an das Unternehmen glauben und weil sie gut finden, was wir hier bisher bewegt haben. Das merke ich selber. Früher sagten die Mitarbeiter immer, ich bin von Dragoco oder ich bin von Haarmann & Reimer. Heute heisst es nur noch: Ich bin SYMRISER. (Anm. aus Dragoco und Haarmann & Reimer wurde 2003 das Unternehmen Symrise).
Das ist für Sie auch die direkte Rückmeldung, dass die Vision und die Werte die Sie vorgeben sowie vorleben, richtig verstanden werden.
Jeder macht das auf seine Art. Wenn ich sage, dass wir wachsen und etwas bewegen wollen, dann muss ich das vorleben. Ich muss die Leute begeistern und für die Sache gewinnen. Sie sollen von sich aus sagen, da will ich dabei sein, das ist mein Ding. Das ist uns in letzter Zeit ganz gut gelungen. Für einen jungen Menschen, der die ganze Welt noch vor sich hat, ist Holzminden nicht unbedingt der Traumarbeitsplatz. Deswegen müssen wir die Mitarbeiter für die Sache gewinnen. Und viele kommen hierher und sagen: Ich will etwas bewegen. Ich habe etwas gelernt und nun will ich einen tollen Job. Sie erleben dann zu Beginn einen kleinen Kulturschock, aber den Job finden sie super.
Sie müssen als CEO aber auch Grenzen setzen, Entscheidungen treffen und den Weg klar und deutlich vorgeben.
So ist das und das lebe ich. Nehmen wir den Fall Diana. Das war eine Akquisition, die wir in der Grössenordnung noch nie hatten, 1.3 Milliarden Euro. Ich sag’s jetzt mal so: Dass wir so ein Ding stemmen können, hat alle überrascht. Das hat vor der Übernahme intern einige Überzeugungsarbeit gebraucht. Ich war von Anfang an überzeugt von der Sache und habe deswegen klargestellt, dass ich die Verantwortung dafür trage. Darum übernahm ich die Leitung des Bereichs Flavor & Nutrition. Ich halte meinen Kopf hin. Ab einer gewissen Grössenordnung muss ich in vollem Umfang die Verantwortung tragen. Dieses Handeln sehe ich als guten Stil und es zeigt meinen Führungsstil.
Als Duft- und Aromenhersteller ist Nachhaltigkeit ein wichtiges Thema. Wie kommen Sie an die notwendigen Rohstoffe ohne der Natur zu schaden?
Vor meiner Zeit als CEO, als ich noch Bereichsleiter war, ging es um das Thema Vanille. Damals kamen wir zum Schluss, dass es immer wichtiger wird, wo die Produkte herkommen. Auf keinen Fall Kinderarbeit, faire Entlohnung und keine Umweltzerstörung. Am Ende der Diskussion merkten wir, dass wir das nur gewährleisten können, wenn wir es selbst machen. Das Zertifikate von kleinen Zwischenhändlern mit der nötigen Skepsis betrachtet werden müssen. Vor grossen Lebensmittelkonzernen haftest du selbst, die interessieren sich nicht für irgendwelche Zwischenhändler. Deswegen haben wir damals selber angefangen lokal Vanille zu verarbeiten und in Madagaskar ein Werk aufgebaut. Vor zwei Jahren haben wir ein Neues eröffnet und zwar das einzige in ganz Madagaskar nach westlichen Standards. Das Werk könnte hier stehen, aber es steht mitten im Urwald. In Ecuador haben wir für Bananen etwas Ähnliches aufgebaut. Wir wollen am Ende des Tages den Acker und den Landwirt von unseren Rohstoffen sowie die Bedingungen kennen, wie die Produkte erzeugt wurden. Mit dieser Vision können sich unsere Mitarbeiter identifizieren und sie arbeiten gerne dafür. Das sehe ich als eine Aufgabe des CEOs. Ich muss dem Unternehmen eine Vision geben und ein Team aufbauen, das bereit ist, hart zu arbeiten.
Sie müssen wissen wo die Befindlichkeiten und vor allem die Empfindlichkeiten sind. Das ist enorm wichtig für einen CEO. Suchen Sie diese speziell?
Meine Bürotür ist immer offen. Jeder kann reinkommen und viele tun das auch. Oft heisst es dann: „Chef ich will nicht stören.“ „Du störst aber schon, okay was ist?“ entgegne ich jeweils nur. Und das Anliegen ist nicht immer die grosse Weltpolitik sondern kleine Sorgen. Aber es gibt den Leuten die Gelegenheit mal Dampf abzulassen und das gehört für mich zu einem guten Betriebsklima dazu.
Fördern Sie ein gutes Klima mit bestimmten Massnahmen?
Viele die vom Wettbewerb zu uns kommen, sind erstaunt wie offen bei uns alles ist. Ob das ein Parfümeur, Flavorist oder wer auch immer ist, bei uns dürfen sie sich gegenseitig in die Formeln schauen. Das heisst auch, wir geben ihnen die Möglichkeit, das Beste zu leisten. Sie sollen schauen, warum der Kollege nebenan immer so erfolgreich ist. So hat jeder die Chance davon zu profitieren und zu lernen. Wir betreiben eine sehr offene Kultur. Im Forschungskomplex, hier in Holzminden, ist auf einer Seite die Analytik, auf der anderen die Synthese, daneben die Parfümerie, dahinter Flavor und das ist alles miteinander verbunden. In der Mitte steht die beste Kaffeemaschine. Hier trifft der Kosmetikforscher den Analytiker oder den Aromentüftler, das ist echtes Multikulti und auch so gewollt. Die Leute sollen über den Tellerrand gucken, denn so entsteht Kommunikation.
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