Seit seinem Antritt als CEO des Oerlikon Konzerns in 2010, hat Dr. Michael Buscher das Unternehmen aus einer tiefen Krise zurück auf die Erfolgsspur geführt. Massgeblich für den gelungenen Turnaround: Buschers Fähigkeit, scheinbar Gegensätzliches in sich zu vereinen. Der 47-Jährige wechselt mühelos vom Operativen zur Strategie, denkt einerseits langfristig und agiert andererseits ohne Zeitverzögerung. Er fordert seine Mitarbeitenden stark, fördert sie aber auch. Die Sanierung hat er nicht aus dem strategischen Elfenbeinturm heraus betrieben, sondern in engem Kontakt mit dem operativen Geschäft. Im Interview berichtet er, wie der Wandel gelungen ist, warum er noch andauert und was noch ansteht.
„Letztlich geht es um einen Bewusstseins- wandel“
Ihr Unternehmen durchläuft seit gut zwei Jahren einen fundamentalen Veränderungsprozess – was beinhaltet dieser genau?
Um von 590 Millionen CHF operativem Verlust in 2009 auf ein Plus von 420 Millionen in 2011 zu kommen, mussten wir schnell und konsequent tiefgreifende Massnahmen zur Kostenreduzierung umsetzen. Hierzu gehörten Personalabbau, Standortschliessungen und Effizienzsteigerungen. Gleichzeitig haben wir einen vorausschauenden Dreijahresplan aufgesetzt, ein Kennzahlen basiertes Bewertungssystem eingeführt und an Verbesserungen im Bereich Kultur gearbeitet. Letztlich geht es um einen Bewusstseinswandel. Es muss allen Mitarbeitenden klar sein, dass wir Mehrwert auf das eingesetzte Kapital schaffen und Best-in- Class Positionen am Markt erreichen wollen.
Sie müssen dabei auch selbst einen starken Wandel vollziehen: Zwei Jahre mussten Sie sanieren und jetzt müssen Sie wachsen, aufbauen und innovativ sein.
Diese Widersprüche – einerseits konsequent in kurzer Zeit Kosten zu reduzieren und andererseits langfristigen Wandel zu gestalten – finde ich äusserst spannend. Es ist wichtig, beides verbinden zu können. Ich freue mich schon auf die Wachstums- und Aufbauphase, die vor uns liegt, auch wenn die Sanierung noch nicht vollständig abgeschlossen ist. Hinsichtlich der Produktivität und des Lieferantenmanagements sind wir noch nicht in allen Segmenten auf Weltklasseniveau. Wir arbeiten deshalb auch an diesen Themen weiter.
Das sind ja unglaublich viele Aktivitäten gleichzeitig: Aufbau, Abbau, Zusammenlegung, neue Führung. Haben Sie da noch die Kontrolle?
Intern bezeichnen Mitarbeitende unseren Wandel als stille Revolution, auch weil nach aussen die Intensität unserer Arbeit nicht unbedingt sichtbar ist. Zuerst muss man sich selbst sehr gut organisieren und die Erwartungshaltung klar kommunizieren. Selbstdisziplin, Zeitmanagement und eine klare Priorisierung sind dabei elementar. Ich arbeite immer – das hört sich vielleicht trivial an – mit einer sauber geführten Vorlage, damit nichts verloren geht. Mir persönlich ist ausserdem sehr wichtig, dass man Dinge, die man adressiert, auch wirklich zu Ende führt. Den Weg kann man anpassen, aber beim finalen Ziel gibt es keinen Kompromiss.
Wie führt man in einer stillen Revolution?
Über klare Zielsetzungen und verbindliche Absprachen. Der Verbindlichkeitsgrad in der Organisation hat sich dramatisch erhöht. Vereinbarte Ziele sind für mich wie ein Vertrag. Es können sich natürlich im Geschäftsleben immer Randbedingungen ändern. Niemand kann voraussehen, wie sich der Markt in acht Monaten genau verhält. Dennoch muss man Widrigkeiten bei Bedarf aktiv angehen und darf nicht aufgeben, um letztendlich trotzdem die Zielsetzungen zu erreichen.
Klingt nach einem perfekt organisierten Unternehmen, einem «geölten» Betrieb. Sie haben aber auch «Innovation» in Ihren Core Values. Das ist ein gewisser Gegensatz dazu – wie fördern Sie Innovation?
Noch zu wenig. Die Organisation ist seit Jahrzehnten für innovative Produkte bekannt. Es gab immer viele hochqualifizierte Individuen und Organisationsteile, die Innovation aus Eigenantrieb generierten und vorantrieben. Deshalb hatte dieser Bereich in den letzten Jahren auf Konzernstufe nicht Priorität. Zukünftig möchte ich nun verstärkt darauf achten, dass wir Innovationen jeglicher Art noch besser kanalisieren und schneller vorantreiben. Zudem müssen Ideen zu wirtschaftlichen Erfolgen führen und für den Kunden einen Mehrwert generieren.
Im Turnaround hört man oft, braucht es ein neues Team.
Bis zu einem gewissen Grad, ja. Aus meiner Sicht liegt viel in der Führung begründet. Die Mitarbeitenden an der Werkbank sind nicht der Grund für fundamentale Unternehmensschwierigkeiten. Sie sind zwar der Schlüssel für Produktivität, Qualität und einiges mehr – aber wenn eine Firma ein grundsätzliches Problem hat, ist dafür die Führung verantwortlich. Deshalb müssen auch dort die Massnahmen ansetzen.
Das Segment Drive Systems ist eines von zwei starken Oerlikon Segmenten, die im Obermatt Ranking die obersten Ränge belegen. Wie kam dieser Erfolg zustande?
Wir mussten mit Standortschliessungen – auch noch in 2012 – sehr harte Massnahmen durchführen. Zentral war aber die Ende 2010 gestartete Integration der Einheiten GRAZIANO und FAIRFIEL D unter der Führung eines Segment-CEO s, Gary Lehmann. Diese ermöglichte eine zügige Verbesserung unserer Vertriebsprozesse, die Erhöhung unserer Werkseffizienz sowie eine Erweiterung unserer Produktionskapazität in Niedriglohnländern inklusive des Aufbaus eines neuen Werks in China. Wir haben also zeitgleich die Restrukturierung umgesetzt, die beiden langjährig parallel geführten Einheiten integriert sowie unsere Prozesseffektivität und Effizienz erhöht. Drive Systems war einer der Bereiche, der noch 2010 mit 70 % die geringste Lieferanten-Liefertreue verzeichnete. Jetzt liegen auch die Italiener bei über 98 %. All das erklärt Garys Medaille in d er Obermatt Rangliste.
Unter der Leitung von Dr. Hans Brändle hat sich das zweite Obermatt Gewinnersegment – Coating – zum profitabelsten Segment der Oerlikon Gruppe entwickelt – liegt das an der erfolgreichen Asien Expansion?
Hans und sein Team haben sehr früh die Entwicklung in Asien erkannt und konnten auf Basis ihrer führenden Beschichtungstechnologien das Wachstum, etwa der Automobilindustrie in China, durch den kontinuierlichen Aufbau neuer Zentren nutzen. Gleichzeitig verfügt Coating über ein exzellentes internes Benchmarking der weltweit 88 Beschichtungszentren, so dass sowohl Schwachstellen schnell beseitigt als auch hervorragende Lösungen gezielt gefördert werden können. Für die Zukunft ist wichtig, unseren Technologievorsprung weiter auszubauen und neue Anwendungsfelder zu finden. So hat Balzers 2010 ein neues Beschichtungsverfahren akquiriert und hierfür zwei neue Technologiezentren in Deutschland und China eröffnet. Das wird sich in Kürze auszahlen.
Herr Dr. Buscher, wo sehen Sie sich in 10 Jahren?
Die langfristige Entwicklung einer Firma ist eine spannende Aufgabe. Mein Ziel ist, zusammen mit meinen Kollegen das traditionsreiche und faszinierende Unternehmen Oerlikon in den kommenden Jahren in eine nachhaltig erfolgreiche Zukunft zu führen, so dass unsere Investoren und Kunden zufrieden sind sowie unsere Mitarbeitenden mit Stolz für Oerlikon arbeiten.
Wie motivieren Sie auch in der Zukunft Ihre Mitarbeiter zu Höchstleistungen?
Ich habe ein realistisches Verständnis dafür, wo wir stehen und was möglich ist. Meist füge ich Zielen noch einen emotionalen Faktor hinzu, weil ich überzeugt bin, dass man Anspruchsvolles erreichen kann, wenn alle mitziehen. Wir haben jetzt schon mehr erreicht als viele für möglich hielten. Was ich noch verbessern möchte, ist Erfolge intern vermehrt zu würdigen, denn mir ist bewusst, dass es wichtig ist, bei Erfolgen auch mal einen Moment durchzuatmen, diese zu geniessen und stolz sein zu dürfen – bevor wir weiterarbeiten. Da nehme ich gerne die Obermatt Medaille zum Anlass, denn diese ist letztendlich ein Erfolg aller Oerlikon Mitarbeitenden.
Erfahren Sie mehr über Dr. Michael Buscher von seiner Wikipedia Seite.